Ein neues Jahr – eine neue Herausforderung – Regulierung der niedrigen Erdumlaufbahn


Mit dem ersten Flug der Falcon 9-Rakete von Elon Musk im Jahr 2010 begann ein neues Weltraumzeitalter. Seit SpaceX seine erste wiederverwendbare Rakete entwickelt hat, sind die Kosten für die Beförderung von Satelliten in die Erdumlaufbahn drastisch gesunken, wodurch sich für Tausende von Unternehmen auf der ganzen Welt ein Milliardenmarkt eröffnet hat. Musk hat wohl mehr als jeder andere seit Neil Armstrong dazu beigetragen, das Interesse an der Raumfahrt neu zu entfachen.

Josef Aschbacher, Leiter der Europäischen Raumfahrtagentur, hat jedoch wegen der Dominanz des US-Milliardärs in der neuen Raumfahrtindustrie Alarm geschlagen. SpaceX hat es Musk ermöglicht, für seinen weltraumgestützten Internetdienst Starlink Satelliten in einem noch nie dagewesenen Tempo zu starten. In weniger als zwei Jahren hat er eine Konstellation von fast 2.000 Satelliten aufgebaut, was etwa 40 Prozent aller aktiven Satelliten entspricht. Innerhalb der nächsten Jahre will er 12.000 Satelliten haben, und die nationalen Regulierungsbehörden haben die Genehmigung für etwa 30.000 Satelliten erteilt.

Manche bezeichnen den Chef der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) als europäischen Protektionisten. Das geht unserer Meinung nach an der Sache vorbei. Aschbacher hat Musk nicht vorgeworfen, gegen irgendwelche Regeln zu verstoßen. Er unterstrich die Tatsache, dass es einfach keine Regeln gibt, die eine verantwortungsvolle und nachhaltige Nutzung der niedrigen Erdumlaufbahn bis zu einer Höhe von 2000 km über der Erde garantieren, in der die meisten Satelliten operieren. Auch andere, vom britischen OneWeb bis zum Projekt Kuiper von Jeff Bezos, planen große Konstellationen. Bestehende internationale Vereinbarungen, die getroffen wurden, als der Weltraum noch weitgehend den Regierungen vorbehalten war, sind in den Hintergrund getreten. Der UN-Weltraumvertrag von 1967 erklärt den Weltraum zur „Provinz für die gesamte Menschheit“. Die Zuständigkeit für die Erteilung von Lizenzen an Satellitenbetreiber liegt jedoch bei den Nationalstaaten, die alle ein Stück vom neuen Markt abhaben wollen.

Die Internationale Fernmeldeunion regelt zwar die Funkfrequenzen, auf denen Satelliten senden, aber es gibt kein System zur Koordinierung der Umlaufbahnen und kein globales System zur Verwaltung des Weltraumverkehrs. Es gibt keine Vorschriften für den Austausch von Informationen über Flugbahnen, keine Regeln, wer ausweichen muss, um Kollisionen zu vermeiden, und keine verbindlichen Vorschriften für die Entfernung von Satelliten am Ende ihrer Lebensdauer. Im Jahr 2019 hat der UN-Ausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums 21 Leitlinien für die langfristige Nachhaltigkeit des Weltraums angenommen – allerdings freiwillige Leitlinien ohne vereinbarte Konsequenzen bei Übertretung.

Es zeichnet sich also eine Krise ab, die die Raumfahrtindustrie in ihren Anfängen zerstören könnte. Nach den derzeitigen Plänen könnten sich bis zum Ende des Jahrzehnts 100.000 Satelliten in der Umlaufbahn befinden, die von Internetdiensten bis hin zur Erdbeobachtung alles abdecken. Der Weltraum ist groß, aber die Vielzahl der geplanten Konstellationen erhöht die Wahrscheinlichkeit von Kollisionen, die einige Umlaufbahnen unbrauchbar machen könnten.

Der jüngste russische Anti-Satellitentest ist das jüngste Beispiel für Wladimir Putins Spiel mit der Politikverdrossenheit. Dieser Test sollte unserer Meinung nach ein Weckruf für die Menschheit sein, da wir Gefahr laufen, die himmlische Nachbarschaft der Erde in einen Schrottplatz zu verwandeln. Wenn wir unseren Kurs nicht ändern, könnten die Möglichkeiten des Weltraums, unser Leben auf der Erde zu verbessern, für Generationen verschlossen bleiben. Als Moskau im vergangenen Jahr absichtlich einen Satelliten zerstörte, entstand bei der Explosion Berichten zufolge ein Trümmerfeld mit mindestens 1 500 unkontrollierten Splittern und möglicherweise vielen Tausend weiteren nicht verfolgbaren, aber tödlichen kleineren Fragmenten. Mit einer Geschwindigkeit von etwa 7 km pro Sekunde kann selbst ein Farbklecks die Infrastruktur im Weltraum schwer beschädigen. Die Astronauten in der Internationalen Raumstation waren nach dem russischen Test gezwungen, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.

Nach Angaben der Franzosen hat allein dieser eine Test das Risiko des Kessler-Syndroms (Donald J. Kessler)um fünf Prozent erhöht – ein Effekt, bei dem sich Trümmerteile, die Kollisionen verursachen, kaskadenartig vermehren, bis unsere Umlaufbahnen unerreichbar werden. Dies würde unserer Meinung nach die Menschheit auf dem Planeten Erde buchstäblich zum Erliegen bringen und alle wirtschaftlichen, ökologischen und wissenschaftlichen Vorteile des Weltraums zum Stillstand bringen. Ein einziger Vorfall hat bereits so viel Schaden und Risiko verursacht. Die Regeln für die Nutzung des Weltraums durch Regierungen und den Privatsektor sind nicht mehr geeignet für eine Zeit, in der der Weltraum zunehmend überfüllt und umkämpft ist. Der Weltraumvertrag von 1967 verbietet zwar die Stationierung von Waffen im Weltraum, aber er hindert russische Satelliten nicht daran, andere Satelliten auszuspionieren, die wichtige Daten an die NATO-Streitkräfte am Boden übermitteln. Ebenso wenig hindert er Gegner daran, potenziell feindliche Operationen gegen andere Satelliten durchzuführen.

Ja, in den kommenden Jahren will die Welt den Weltraum, insbesondere die erdnahe Umlaufbahn in 500 bis 600 km Höhe, mit Zehn- oder gar Hunderttausenden von Satelliten, den so genannten Megakonstellationen, sättigen. Diese versprechen eine bessere globale Konnektivität sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke. Doch in dem Moment, in dem sich der Weltraum für diese neuen Möglichkeiten öffnet, besteht die Gefahr, dass die rücksichtslose Eile, mit der viele Tausende von Objekten in die Umlaufbahn geschossen werden, sie wieder zunichte macht. Bislang wurden die meisten Kommunikationssatelliten in viel höheren Umlaufbahnen von etwa 36 000 km betrieben, wobei jeder Satellit die Erde auf seinem vorgesehenen Platz umkreiste und keine nennenswerte Gefahr bestand, andere Betreiber zu stören.

Der größte Irrglaube unserer Meinung nach ist, dass der Weltraum groß genug ist, um all diese Aktivitäten zu unterstützen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Raum innerhalb unserer Umlaufbahn ist endlich. Jeder gestartete Satellit erhöht das Risiko eines Zusammenstoßes. Untersuchungen haben ergeben, dass die Trümmer, die bei einem Zusammenstoß zweier Satelliten der Megakonstellation entstehen, ähnlich groß wären wie die Trümmer, die bei einem russischen Raketentest entstehen. Das Problem mit dem Kessler-Syndrom ist, dass wir nicht wissen, dass es begonnen hat, bis es zu spät ist.

Unserer Meinung nach müssen die Raumfahrtbehörden ihre Regelwerke entstauben, die noch aus einer Zeit stammen, als die Satellitenunternehmen nur eine Handvoll Satelliten in die Umlaufbahn brachten. Mit einer größeren Anzahl von Satelliten in der Umlaufbahn steigen die Gefahren exponentiell an, aber die Regulierungsbehörden und die Vorschriften haben nicht auf das gestiegene Risiko reagiert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Raumfahrtversicherer zunehmend Alarm wegen dieses unhaltbaren Verhaltens schlagen. Bevor jedoch neue Regeln festgelegt werden, müssen die Regulierungsbehörden verstehen, welche Mengen an Satelliten unsere Umlaufbahnen sicher tragen können. Genau das wurde im zivilen Luftraum getan. In einer idealen Welt würden die UN oder die Internationale Fernmeldeunion diese neuen Regeln festlegen. Leider ist ein Konsens über sinnvolle Regeln trotz bester Absichten unserer Meinung nach sehr unwahrscheinlich. Die NATO-Mitglieder und Weltraummächte wie die USA, das Vereinigte Königreich und Frankreich sind gleichermaßen besorgt über das feindliche Verhalten Russlands und Chinas im Weltraum. Sie sind aber auch Konkurrenten im Bereich der kommerziellen Raumfahrt und würden neue Regeln nicht unbedingt begrüßen. Hier muss unserer Meinung nach die EU eingreifen. Europa ist die einzige große Jurisdiktion, die noch keinen Anti-Satellitentest im Weltraum durchgeführt hat, und sie hat Einfluss darauf, wie ihre nationalen Regierungen den Marktzugang für Satellitenbetreiber gewähren.
Wenn die europäischen und nationalen Regulierungsbehörden klare Bedingungen festlegen, um das Risiko von Kollisionen zu verringern, könnte dies auch andere wichtige Märkte wie die USA beeinflussen. Die Europäische Kommission sollte die Führung übernehmen und fertige Kriterien für die nationalen Regierungen bereitstellen. Brüssel verfolgte einen ähnlichen Ansatz bei nationalen Sicherheitsbedenken gegenüber 5G-Netzen.

Der Weltraum ist unserer Meinung nach die neue Grenze für das nicht nachhaltige Verhalten der Menschheit. Wenn es den Regulierungsbehörden nicht gelingt, Regeln aufzustellen, die verhindern, dass unsere Aktivitäten im Weltraum selbstzerstörerisch werden, werden wir bald feststellen, dass wir eine weitere der größten Ressourcen der Erde vergeudet haben.

Ein neues, übergreifendes Weltraumabkommen ist unserer Meinung nach kurzfristig wahrscheinlich nicht zu erreichen. Aber kleinere Schritte könnten sicherstellen, dass die Weltraumwirtschaft sicher, nachhaltig und für alle offen bleibt. Die Staaten, die die Leitlinien für 2019 unterzeichnet haben, sollten dafür sorgen, dass Verstöße drastisch geahndet werden. Startunternehmen und Nutzer von Satellitendiensten könnten sich weigern, mit Betreibern Geschäfte zu machen, die die Richtlinien ignorieren. Eine dringende Einigung ist unserer Meinung nach auch bei den Kommunikations- und Verkehrsmanagementprotokollen erforderlich, um Kollisionen zu vermeiden.

Letztendlich müssen die Nationen und nicht Milliardärsunternehmer wie Musk die gemeinsame Verantwortung für die Regulierung des Weltraums übernehmen. Aber seine Kontrolle über einen großen Teil der kommerziellen Raumfahrt und seine engen Beziehungen zu den US-Regulierungsbehörden könnten ihm bereits eine starke Stimme bei der Frage verleihen, was verantwortungsvolles Verhalten ausmacht. Wenn Musk seine Energie in die Unterstützung globaler Normen zur Gewährleistung einer sicheren Umwelt steckt, würde die Welt höchstwahrscheinlich auf ihn hören. Andererseits müssen die Regulierungsbehörden darauf achten, dass Musk nicht seine eigenen Regeln aufstellt, da er bereits die Hälfte aller aktiven Satelliten auf der Welt besitzt. Das wäre zumindest nicht das erste Mal – man erinnere sich an die PayPal-Mafia.